Neue Zeitschrift für Musik 3 2022
Weird - Wired
Duo Conradi-Gehlen
Antes BM319323
1 CD • 63min • 2020
04.05.2022
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität: 8
Gesamteindruck: 8
Bereits seit dem gemeinsamen Studium an der Hochschule für Musik Karlsruhe und damit seit dem Jahre 1986 besteht das auf Neue Musik spezialisierte Gitarrenduo Conradi-Gehlen. So hat auch ihr drittes Album, erneut erschienen bei Antes Edition, seinen Schwerpunkt auf der Musik unserer Zeit; allein sechs der zehn Werke entstanden nach 2010, vier davon speziell für dieses Duo. Die einzige Ausnahme bildet Musik des spanischen Vihuelisten Enríquez de Valderrábano aus dem 16. Jahrhundert, die aber in diesem Kontext eingesetzt wird, um die Gitarrenduoversion von Arvo Pärts Summa gewissermaßen vorzubereiten.
Große stilistische Bandbreite
Die stilistische Bandbreite dieser CD, ist groß. Melodiös-liedhaft gehalten ist Tōru Takemitsus Titelmusik zum Film A Boy named Hiroshima (man sollte hier nicht an Kompositionen wie sein Flötenstück Voice denken), und auch das Arrangement von Arvo Pärts Chorstück Summa repräsentiert auf dieser CD eher die traditionelle Seite. Das andere Extrem markieren vorwiegend geräuschhafte Kompositionen wie John Cages Ryoanji (hier vertreten als dreiminütiger Auszug in einer Version für fretless, also bundlosen, E-Bass und Schlagzeug) und insbesondere das titelgebende Weird – Wired des unlängst verstorbenen Matthias Kaul. Viele der Stücke beziehen eine breite Palette von erweiterten Spieltechniken mit ein; so werden die Gitarrensaiten z.B. (wie auf dem Titelbild zu sehen) in manchen der Stücke mit einem Bogen gestrichen, die menschliche Stimme kommt in Violeta Dinescus Im Anhang findest Du... zum Einsatz, im Einzelfall werden die Saiten sogar unter Verwendung von EC-Karten gespielt. Sidney Corbetts Mara wiederum, stilistisch dem Minimalismus nahestehend, ist für zwei E-Gitarren geschrieben, die allerdings überwiegend ohne größere Verfremdungseffekte eingesetzt werden.
Expression, Experiment und Klangzustände am Rande der Stille
Ein Höhepunkt der CD ist Gerhard Stäblers expressiv-protesthaftes Stillschreiend anders (2017), das erregte Tonrepetitionen vielfältig abwandelt, beleuchtet und verfremdet, in Form von stürmisch-aggressiver Akkordik, auf den Einzelton reduziert oder mit Klopfgeräuschen kombiniert, dabei dramatisch-spannungsvoll konstruiert. Mark Andres iv 14 ist Teil einer umfangreicheren Serie von Kompositionen unter dem Titel iv (= Introvertiertheit); hier werden in fünf kurzen Miniaturen allerhand Klangzustände zumeist (aber nicht nur) an der Grenze zur Stille, zum Verstummen ausgelotet. Jörg Mainkas Venezianische Eröffnung spielt ebenso wie Violeta Dinescus Beitrag mit dialogischen Strukturen. Kauls Weird – Wired, das die CD beschließt, treibt dies auf die Spitze: hier sind die beiden Gitarren durch einen Draht miteinander verbunden, über den die beiden Gitarristen Einfluss aufeinander ausüben können; dabei spielt u.a. die Distanz der beiden Gitarren eine Rolle. Sicher ein vorwiegend experimentelles Stück, dabei aber nicht ohne humoristische Komponente und auf spezielle Weise durchaus effektvoll; vielleicht kommt es als Video allerdings noch besser zur Geltung.
Kommunikative Kraft der Musik
In diesen von Experiment und Expression geprägten Stücken zeigt sich das Duo bestens aufgelegt, sehr flexibel und mit Sinn für die kommunikative Kraft dieser Musik.
Holger Sambale [04.05.2022]
Reutlinger Generalanzeiger Dezember 2019
Sonntagsmatinee der Extraklasse für Kinder
Von Bernhard Pahlmann
Autor/Quelle: NRWZ-Redaktion -
27. Juni 2016
ROTTWEIL – Man nehme: diverse Gitarren, einen Kessel mit Wasser, einen Käfig ohne Vogel, eine tongebende Hupe, zwei klassische Konzertgitarristen, interessiertes Publikum aller Generationen, ein historisches Schulgebäude und Komponisten, die etwas wagen wollen. Nach diesem Rezept hat der Intendant der Sommersprossen, Prof. Ingo Goritzki eine Sonntagsmatinee der Extraklasse zubereitet.
Die Künstler, Stefan Conradi und Bernd Gehlen konnten Werke von John Cage, Mauricio Kagel, Violeta Dinescu und Gerard Grenell den zahlreich teilnehmenden Kindern in wohltuender Abwesenheit von pädagogischem oder gar animatösem Firlefanz nahebringen. Gern auch „by doing“.
Händereiben, Füßescharren, Schenkelklopfen der Teilnehmer etwa waren die Antworten auf Quietschen, Wassergießen, Gitarrezupfen der Protagonisten. Und schließlich konnten 15 Kinder mit der Nennung ihrer Namen, Adressen und Geburtsdaten ohne das Bremsen des Datenschutzes Raffung und Dehnung von Silben oder crescendo und decrescendo beim Deklamieren im Zusammenwirken erlernen.
Da reihte
sich auch der Sponsor, die ENRW, mit den verteilten klappernden“‚Plastignetten“ relativ harmonisch ein!
Der zu Beginn vorgestellte spanische Komponist Enríquez de Valderrábano hätte nicht umhin können, seine Freude über soviel Spaß am musikalischen Ernst zu bekunden.
Drei Tage lang probieren sich Schüler der Klassen 7u und 10a der Ellental-Gymnasien mit den Musikern Bernd Gehlen und Stefan Conradi in Neuer Musik. Am Donnerstagabend stellen sie die "Sounds of Ellental" in einer Aufführung vor.
Foto: Helmut Pangerl
Schüler der Klasse 7u der Ellental-Gymnasien proben mit Bernd Gehlen (rechts) und Stefan Conradi (links) auf der Bühne der Aula das Stück Neuer Musik, "Sounds of Ellental". Sie stellen Alltagsgeräusche aus der Schule dar.
Eine Tür fällt geräuschvoll zu, eine Fahrradkette surrt, Papier wird zerrissen, ein Kugelschreiber fallen gelassen, vom Brot abgebissen, ein Buch wird umgeblättert, die Kreide auf der Tafel quietscht, man hört Lachen, Tritte, Geschrei. In der Aula des Gymnasiums proben die Schüler der Klasse 7u von Musiklehrerin Katharina Pott die "Sounds of Ellental". Es ist eines von drei Stücken, das die Schüler gemeinsam mit dem Musikerduo Bernd Gehlen, Gitarrist und Bietigheimer Musikschullehrer, sowie Stefan Conradi, ebenfalls Gitarrist, einstudieren. Drei Tage lang, vier Stunden, geht es nur um Neue Musik. Die Schüler der siebten Klasse und die 10a nehmen an einem Projekt teil, das vom Netzwerk Neue Musik organisiert und finanziert wird, mit Unterstützung der Baden-Württemberg-Stiftung und dem Kulturamt der Stadt Bietigheim-Bissingen.
Komponist John Cage machte es mit seiner Komposition "Sounds of Venice" vor, wie man mit Alltagsgeräuschen einen ganz speziellen Sound, ja, Musik, kreieren kann. "Die Schüler waren sehr einfallsreich", sagt Bernd Gehlen, der mit Stefan Conradi in ganz Deutschland Workshops in Neuer Musik gibt. "Sie sind, so haben die Schüler erzählt, mit offenen Ohren durch das Schulhaus gelaufen und haben es quasi neu entdeckt", erzählt auch Helga Maria Craubner, die Geschäftsführerin des Netzwerks Neue Musik in Stuttgart, die das Projekt vor Ort begleitet.
"Uns geht es darum, die Neue Musik überall im Land publik zu machen", sagt Craubner. "Mit Neuer Musik", so Gehlen, "entdecken viele die Musik erst, bemerken, wo überall Töne drin sind." Dominik und Leon, zwei der Siebtklässler, bestätigen das: "Ich überlege echt, ob ich mit Musik weitermache, ich habe mich sogar schon erkundigt, ob man Neue Musik studieren kann oder professionell davon leben", sagt Dominik, und Leon kann gar nicht aufhören, aus alltäglichen Tönen Musik zu machen.
Jeder Schüler, so Gehlen, brachte sich mit Ideen in die "Sounds of Ellental" ein. Am kommenden Donnerstagabend werden die Schüler in einer Aufführung in der Aula des Gymnasiums demonstrieren, wie musikalisch ihre Schule klingt. Neben der Cage-Adaption wird aber auch das Original, "Sounds of Venice", intoniert vom Duo Bernd Gehlen und Stefan Conradi, zu hören sein. Außerdem spielen die beiden Profis drei weitere Stücke Neuer Musik: Mit zwei Westerngitarren, die mit einem Stahldraht verbunden sind, wird das Stück "Wired" von Matthias Kaule umgesetzt. Sehr anspruchsvoll ist die "Venezianische Eröffnung" von Jörg Meinka, die mit klassischen Gitarren gespielt wird. Aus der rumänischen Dada-Epoche stammt das Werk "Ismail Si Turnavito" von Violetta di Nesco, das von Gehlen und Conradi mit elektrischen Gitarren und Effekten präsentiert wird. Die Siebtklässler werden außer dem Ellental-Sound noch weitere drei Stücke vorführen. Die Klasse 10a präsentiert das Stück "Story" aus John Cages "Livinroom-Music" und das "Stuhlgewitter" von Dieter Schnebel.
Lehrerin Katharina Pott ist froh, sich für das Projekt mit ihren beiden Klassen beworben zu haben. "Die Schüler haben einen ganz neuen Zugang zur Musik bekommen, es hat ihnen sichtlich Spaß gemacht und sie sind mit Feuereifer dabei", sagt sie. "Da ist ein Interesse da sich auszudrücken, das kann man mit klassischer Musik und verkrusteten Strukturen nicht erreichen", sagt Bernd Gehlen. "Da gibt es kein Richtig oder Falsch, da wird nichts benotet, da wird einfach aus Tönen etwas gemacht, und es macht Spaß", so Helga Maria Craubner vom Netzwerk Neue Musik, die stolz ist, dass immer mehr sich für Neue Musik interessieren, "vor allem sind wir daran interessiert, nicht nur in die Zentren oder Städte zu gehen, sondern die Neue Musik auch in ländliche Gebiete zu bringen", sagt sie. Musiker wie Bernd Gehlen oder Stefan Conradi sorgten dafür, dass dies gelinge.
Info Das Konzert "Sounds of Ellental" ist am Donnerstag, 4. Februar, 19.30 Uhr, in der Aula der Ellental-Gymnasien. Der Eintritt ist frei.
Bietigheimer Zeitung 3.2.2016
Ein skurriles Konzert zum Auftakt der Reihe „Achtmal Alte Brüderkirche“
Hupe, Styropor, Luftballon
Kunstformen treffen aufeinander: Stefan Conradi (von links) und Bernd Gehlen (Musik), Angelika Höger (Kunst, Installation aus Strohhalmen und Nylonfäden) und Kathrin Jahns (Sprache). Foto: Malmus
KASSEL „Wirklichkeit (er)finden“: Unter diesem Motto steht die diesjährige Ausgabe der Konzertreihe „Achtmal Alte Brüderkirche“, deren erstes Konzert am Sonntagabend vor etwa neunzig Besuchern stattfand. Musik, Bildende Kunst und Texte waren, wie es die Absicht der Reihe ist, zu einem einstündigen Aufeinandertreffen „komponiert“.
Die Klappstühle standen an den Wänden des länglichen Kirchenschiffs, sodass viel Platz in der Mitte frei wurde. Hier wie im Chorraum und an der Südwand waren die fragilen Gebilde aus Kunststofftrinkhalmen von Angelika Höger positioniert, die durch Farben und Schattenwurf feine Raumakzente setzten.
Für den musikalischen Part sorgte das Gitarrenduo von Stefan Conradi und Bernd Gehlen mit sechs kurzen Stücken, darunter fünf aus der Moderne. Beim ersten und letzten - „Sounds of Venice“ von John Cage und „Montage à titre de spectacle“ von Mauricio Kagel - mussten die beiden zu eingespielten Bändern mit Stadtgeräuschen aus Venedig bei Cage, Zirkusklängen bei Kagel, halbszenisch verschiedene Schallquellen aktivieren: Man sah und hörte Wasser, eine Hupe, eine Fahrradpumpe, einen Ventilator auf einer Minigitarre, einen Luftballon und manch anderes. Die ernsten Gesichter im Publikum kontrastierten merkwürdig zu den beiden unkonventionell-unernsten Darbietungen. So trug Kagel den beiden Darstellern auf, wie ein Pferd durch den Raum zu laufen; das Vorderteil mit Gitarre war mit dem Hinterteil durch eine Metallspirale verbunden.
Die anderen Stücke des musikalischen Teils, die Conradi und Gehlen ebenso souverän ausführten, stammten von Jörg Mainka (eine farbenreiche „Venezianische Eröffnung“, die dem ganzen Konzert auch den Titel gab), von Mark Andre („iv 14 1, b, d, e“, vier aphoristische Minimalstwerke), Matthias Kaul („Weird - Wired“ für zwei Gitarren, traktiert mit Styroporhalbkugeln und Geigenbögen) und dem Altspanier Enríquez de Valderrábano.
Das Kunsttrio komplettierte Kathrin Jahns mit der Lesung von Texten Pablo Picassos, Ulrich Tukurs, Hilde Domins und aus dem Buch Jesaja.
Von Johannes Mundry/HNA
Mannheimer Morgen
Die Rheinpfalz
Interview "Die Rheinpfalz"
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